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Gesundheit & Prävention​

Notärzte unter Hochdruck

5 Min.
Christoph Schäfer
von Christoph Schäfer
Kommunikation
Ob im RTW oder in der Notaufnahme - Notärztinnen und Notärzte erfahren besondere Belastungen

Der Engpass im Gesundheitssektor fordert uns alle. Wie schaffen Notärztinnen und Notärzte den Spagat zwischen Professionalität, Menschlichkeit und Selbstschutz? Notarzt und Coach Daniel Marx im Interview.

Erfahrungen als Notarzt

Bei Laien löst der Gedanke an einen Notfalleinsatz meist inneren Alarm, Stress oder Angst aus. Wie ist das bei Ihnen als Profi?
In meiner Anfangszeit war das auch bei mir so. Das erste Mal mit Blaulicht fahren, das erste Mal eine fremde Wohnung betreten. Ich erinnere mich an harmlose Einsätze, die ich damals als unglaublich aufregend empfunden habe. Mit den Jahren relativiert sich das ein wenig.
Wie gelingt es Ihnen heute, in Notsituationen einen kühlen Kopf zu bewahren?
Das fängt schon bei der Alarmierung an: Wenn wir von der Rettungsleitstelle das Stichwort „Reanimation“ oder „schwerer Verkehrsunfall mit eingeklemmter Person“ bekommen, hat der Fall sofort eine ganz andere Relevanz. Schon auf der Fahrt zum Einsatzort bereiten wir uns mental vor und besprechen, wer gleich welche Aufgabe übernimmt, wie wir Prioritäten setzen. Vor Ort läuft es dann im Idealfall sehr standardisiert und strukturiert ab.

Daniel Marx

Daniel Marx

Daniel Marx ist seit 20 Jahren als Notarzt auf der Straße und in der Luft unterwegs. Seit 2007 lehrt er mit seinem Coachingunternehmen Faktor Mensch medizinischen Fachkräften Methoden zur Fehlervermeidung in kritischen Situationen.

Mentale Vorbereitung

Wie sieht das konkret aus?
Information ist die Basis jeder Entscheidung, die wir treffen. Meine erste Information ist die Ankunftssituation: Treffe ich den Menschen zu Hause an, in einer Pflegeeinrichtung, auf der Straße oder am Arbeitsplatz? Dann gibt es den magischen Ersteindruck, wenn ich dem Patienten oder der Patientin gegenüberstehe. Diesen Eindruck unterteilen wir in Aussehen, Lage und Verhalten: Wirkt der Patient vital oder kritisch? Sitzt, steht oder liegt er auf dem Boden? Spricht er mit mir?
Anschließend mache ich eine Anamnese nach dem ABCDE-Schema: Seit wann haben Sie die Beschwerden, beschreiben Sie die Schmerzen, haben Sie derzeit Atemnot, welche Medikamente nehmen Sie ein, welche Vorerkrankungen haben Sie? Auch Vitalwerte wie Blutdruck, Herzfrequenz und Körpertemperatur fließen ein. Meine Eindrücke und die Anamnese ergeben das Gesamtbild. 
Sie haben das Stichwort mentale Vorbereitung genannt. Wie kommen Sie in den richtigen Modus?
Mein Mindset hängt von vielen Faktoren ab: Wie gehe ich in den Dienst? Bin ich ausgeschlafen? Kenne ich meine Teampartnerin oder meinen Teampartner gut oder sind wir ein Ad-hoc-Team? Neben diesen Faktoren geht es aber auch sehr viel um innere Stabilität und Souveränität, die sich im Laufe der Berufserfahrung entwickelt. Man kann dazu beitragen, indem man Szenarien, die einem Angst bereiten, wie zum Beispiel einen Kindernotfall, vorwegnimmt, anstatt sie zu verdrängen.
Man sollte versuchen, sich diesen Fällen durch Fortbildung und regelmäßiges Training frühzeitig zu stellen, bevor die Hemmungen größer werden. Es gibt auch Konzepte wie das Reframing, bei dem ich dem Szenario mental einen anderen Rahmen gebe, indem ich zum Beispiel die Person als Puppe wahrnehme, solange ich den Notfall bewältigen muss. So kann man seine Emotionen in Schach halten und leichter handlungsfähig bleiben. Oft kommt der Zusammenbruch erst im Nachhinein, wenn einem bewusst wird, wie dramatisch der Notfall war.

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Teamarbeit und Kommunikation

Wie stellen Sie als verantwortlicher Arzt sicher, dass die Zusammenarbeit im Team gelingt?
Die wichtigste Voraussetzung ist absolutes gegenseitiges Vertrauen. Diese Basis kultiviere und festige ich in Pausengesprächen, morgens beim Briefing, beim Kaffee in der Fahrzeughalle. Wichtig ist auch, dass alles, was wir tun, im aufrichtigen Interesse der bestmöglichen Patientenversorgung geschieht. Jeder im Team muss verstehen, dass Menschen Fehler machen oder wir manchmal nur die Wahl zwischen Pest und Cholera haben – und dass wir in solchen Fällen trotzdem das Beste geben.
Die Basis ist damit klar. Wie kommunizieren Sie im Team, um Missverständnisse zu vermeiden?
Mit der Novellierung des Rettungsdienstgesetzes 2014 wurde das Thema Team Resource Management in die Ausbildung des Rettungspersonals aufgenommen. Diese standardisierte Form der Kommunikation bietet Tools wie das Vieraugenprinzip oder das sogenannte Zehn für Zehn: zehn Sekunden innehalten und die nächsten zehn Minuten gemeinsam strukturieren. Solche Codes tragen zur besseren Kommunikation bei.
Auch Hierarchien beeinflussen die Kommunikation. Ich lege viel Wert auf das Konzept des Speak-Up, also auf Vetokompetenz. Wenn ein Arzt im Begriff ist, einen Fehler zu machen, muss das Team intervenieren. Wenn alle nur nicken, weil sie sich auf seine Kompetenz verlassen oder nicht widersprechen möchten, dann ist das eine falsch verstandene Hierarchie. Wenn wir uns gegenseitig vor Fehlern bewahren wollen, müssen wir ein neues Hierarchieverständnis leben.

Risiken und Belastungen

Was sind neben schlechter Kommunikation die größten Probleme und Fehlerquellen, die Ihnen bei Ihrer täglichen Arbeit begegnen?
Was die Notfallmedizin generell anspruchsvoll macht, sind die Rahmenbedingungen. Eine Reanimation kann in der Turnhalle, im Keller oder im Garten stattfinden. Wegen dieser unkontrollierbaren Komponente ist es umso wichtiger, dass wir als Team in unseren Strukturen bleiben. Wir haben zudem zunehmend das Problem, dass die Kapazitäten der Kliniken voll ausgelastet sind und es an Personal oder Betten mangelt.
Als Arzt ist auch der sogenannte Fixierungsfehler eine große Fehlerquelle. In dem Moment, in dem ich mich an einer Sache festbeiße, verliere ich den Blick für das große Ganze. Umso wichtiger ist die Vetokompetenz des Teams, von der ich eben gesprochen habe.
Und wie sieht es mit den Risiken für Sie selbst aus?
Es gibt zwei große Risiken: Das eine ist die Anfahrt mit Alarm zum Einsatzort. Die Statistik sagt, dass das Unfallrisiko 20-mal höher ist, wenn ich mit Blaulicht und hoher Geschwindigkeit fahre. Das andere Risiko ist natürlich der Patient. Ganz schlimme Dinge passieren aber glücklicherweise sehr selten.

Umgang mit Stress und Gewalt

Wie gehen Sie mit eigensinnigen oder gar aggressiven Patientinnen und Patienten um?
Als Ärztinnen und Ärzte müssen wir uns in solchen Situationen die Gründe bewusst machen, aus denen solche Szenarien entstehen. Es kann sein, dass der Patient überfordert oder ängstlich ist. Manchmal sind es Sprachbarrieren, und die Patienten fühlen sich nicht verstanden. Auch die Handlungen von alkoholisierten Menschen muss ich anders bewerten, da sie oft nicht Herr ihrer selbst sind. Letztlich gibt es aber auch immer Leute, die mit unserer Arbeit nicht zufrieden sind oder ein aggressives Naturell haben.
Das darf man nie persönlich nehmen. Wer mich beschimpft oder aggressiv ist, spricht mich in meiner Rolle als Notarzt an, aber nicht mich persönlich. Das muss man trennen. Im Umgang ist dann Fingerspitzengefühl und Deeskalation gefragt. Man muss die Menschen für sich gewinnen und unsere Perspektive erklären. Die Menschen wollen beraten und in ihrer Entscheidung geführt, aber nicht bevormundet werden.
Wie wirkt sich der Beruf auf die Gesundheit aus? 
Intensiver Schicht- und 24-Stunden-Dienst führt oft zu schlechten Gewohnheiten wie schnellem Essen, viel Kaffee und Rauchen. Hinzu kommt die psychische Belastung. Wir Notärzte haben alle unsere persönliche Schublade mit zehn bis 20 schlimmen Fällen, die uns nicht mehr loslassen. Es verändert mich, wenn ich ständig im Grenzbereich zwischen Leben und Tod agiere. Schwierig wird es, wenn die Belastung chronisch wird. 

Umgang mit Stress und Gewalt
Notarzt Daniel Marx schildert Marion Stabel von der Ärzteversicherung die Herausforderungen im Rettungsdienst

Selbst Hilfe annehmen

Was empfehlen Sie im Umgang mit Stress und mentaler Belastung?
Wenn mich ein Einsatz stark belastet, hole ich mir Hilfe. Wer heute keine Unterstützung in Anspruch nimmt, sondern im Notdienst ein harter Hund sein will, der hat es einfach nicht verstanden. Zur Prävention sollte man in irgendeiner Form einen Ausgleich pflegen, sei es Wandern, Fotografieren oder Sport. Auch eine gesunde Ernährung spielt eine wichtige Rolle für Körper und Geist. Und es ist wertvoll, Freundschaften mit Menschen zu pflegen, die nichts mit Medizin zu tun haben, um mal die Perspektive zu wechseln. 
Welche schöne Erfahrung ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Oft erlebe ich Einsätze, an deren Ende große Dankbarkeit steht. Ich erinnere mich besonders an ein achtjähriges Mädchen, das sich am Oberschenkel verbrüht hatte, nachdem ihr eine Schüssel Kamillentee in den Schoß gefallen war. Ihre Mutter konnte sie nicht im Hubschrauber in die Klinik begleiten, aber ich habe ihr während des Fluges Fotos und Nachrichten per Handy geschickt, damit sie wusste, dass alles in Ordnung war.
Nach ein paar Wochen haben die beiden uns besucht, und am Ende gab es auf beiden Seiten fast nur positive Erinnerungen. Wenn man es schafft, eine so dramatische Situation zum Guten zu wenden, dann ist das sehr kraftvoll. Trotz Blaulicht, Technik und Struktur dürfen wir nicht vergessen, immer auch Mensch zu bleiben.

Interview Teil 1

Alarm = Stress?

Interview Teil 2

Sicherheit & Fehlerkultur

Interview Teil 3

Aggression & Selbstschutz

Interview Teil 4

Mentale Gesundheit

    Wissen und Erfahrung teilen

    Sie haben das Coachingunternehmen Faktor Mensch gegründet, das Ärztinnen und Ärzten hilft, in Extremsituationen richtig zu handeln. Wie kam es dazu?
    2007 kam ein sechsjähriges Mädchen mit Bronchitis in die Klinik und war wenige Stunden später hirntot  – nicht wegen der Bronchitis, sondern wegen einer Serie von Fehlentscheidungen und falschen Reaktionen. Ich habe damals nicht verstanden, wie diverse erfahrene Ärzte so grobe Fehler übersehen konnten. Da wurde mir klar, dass Medizinerinnen und Mediziner in ihrer Ausbildung nichts über menschliche Wahrnehmung, kognitive Verzerrungen, Emotionen, Hierarchien, den Umgang mit eigenen Stärken und Schwächen und über Entscheidungsfindung unter Druck lernen.
    Diese Lücke wollen wir mit Faktor Mensch schließen. Wir nutzen die Prinzipien des Team Resource Managements aus der Luftfahrt und übertragen sie auf die Medizin. Ich möchte alle mir zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, damit solche tragischen Fehler nie, nie, nie wieder passieren.
    Was würden Sie jungen Menschen raten, die in der Notfallmedizin arbeiten wollen?
    Mein wichtigster Rat ist, ehrlich zu sich selbst zu sein und die eigene Situation immer wieder zu reflektieren. Versucht, so offen wie möglich und auch mutig zu bleiben. Traut euch, nachzujustieren, wenn ihr nicht zufrieden seid. Junge Ärztinnen und Ärzte sind heute viel agiler, was zum Beispiel den Wechsel von der Klinik in die Niederlassung oder auch Sabbaticals und eingeschobene humanitäre Dienste angeht. Diese Möglichkeiten haben wir heute, deshalb sollten wir sie auch nutzen.

    Interview

    Alarm = Stress?

    Wie bereiten sich Notärzte auf einen Einsatz mental vor?

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